Empowerment Blog
Aus der Reihe: Transaktionsanalyse & diskriminierungssensible Beratung (Blogartikel 2 von 7)
Diskriminierungsbewusste Beratung &
die ICH-Zustände der Transaktionsanalyse
Am Beispiel von Selbstbezeichnungen ODER "Warum sollte ich denn Selbstbezeichnungen verwenden?!"
Einführung
Um diskriminierungsbewusst und diversitätssensible beraten zu können, braucht man eine Reihe an Schlüsselkompetenzen. Diese Form der Beratung erfordert nicht nur fachliche Expertise, sondern auch eine tiefe Reflexion über eigene Vorurteile, soziale Prägungen und die Dynamiken von Macht und Privilegien.
In meiner Weiterbildung: "Diskriminierungsbewusste & diversitäsbewusste Beratung" setze ich auf klassische Theorien und Methoden wie die Transaktionsanalyse (TA), um diese Kompetenzen zu fördern und praxisnah anzuwenden.
In diesem Blogartikel möchte ich das Grundkonzept der Transaktionsanalyse – das Ich-Zustände-Modell (Struktur- & Funktionsmodell) – auf seine Kompatibilität mit der Beratung im Bereich der Antidiskriminierungsarbeit prüfen und eine Idee entwickeln, wie uns dieses Modell in der diskriminierungsbewussten Beratungspraxis unterstützen kann.
ICH-Zustände im Kontext der diskriminierungsbewussten Beratung
Das Modell der Ich-Zustände der Transaktionsanalyse unterscheidet drei Hauptzustände: Eltern-Ich (EL), Erwachsenen-Ich (ER) und Kind-Ich (K). Jeder dieser Zustände prägt, wie wir denken, fühlen und handeln – und damit auch, wie wir auf andere Menschen reagieren und kommunizieren.
Ich setze dieses Modell vielfältig in meiner Beratungspraxis sowie in Workshops und Trainings ein. Ein häufiges Thema ist der Umgang miteinander und die Verwendung von Selbstbezeichnungen, etwa wenn wir über Rassismus, Gender oder kulturelle Vielfalt sprechen. Die Verwendung von Selbstbezeichnungen setzt zunächst voraus, dass ich diese kenne. Doch auch das Wissen darüber führt nicht automatisch zu deren Nutzung. Es kommt vor, dass (meist privilegierte) Menschen nicht bereit sind, Selbstbezeichnungen zu verwenden. Die Gründe dafür sind unterschiedlich.
Das Ich-Zustände-Modell – oft in Kombination von Struktur- und Funktionsmodell – eignet sich meiner Meinung nach sehr gut, um zu verstehen, aus welcher Perspektive mein Gegenüber argumentiert, was die Motivation der Nicht-Verwendung ist und wie ich gezielt ansetzen kann. Wobei das Strukturmodell auf das WAS (uns als Teil der inneren Beschaffenheit) eine Antwort geben möchte und das Funktionsmodell eher prozesshaft ist und das WIE (wir unsere innere Beschaffenheit nach außen tragen) beantwortet (siehe Abbildung).
- Das Eltern-Ich übernimmt Denk- und Verhaltensmuster, die wir von wichtigen Bezugspersonen, gesellschaftlichen Normen oder kulturellen Prägungen übernommen haben. Es kann fürsorglich (fEL), aber auch kritisch und belehrend (kEL) sein.
Das kritische Eltern-Ich äußert sich etwa mit: „Das darf man heute nicht mehr sagen!“, während das fürsorgliche Eltern-Ich eher so etwas sagt wie: „Wenn du X sagst, kann es sein, dass du in unnötige Konflikte gerätst – pass lieber auf!“
- Das Erwachsenen-Ich steht für sachliches, reflektiertes und gegenwartsbezogenes Handeln. Es prüft Fakten, wägt ab und ist offen für neue Informationen. Im Idealfall kann das Erwachsenen-Ich Verhaltensweisen aus dem Repertoire der anderen Ich-Zustände situationsangemessen einsetzen und geht verantwortungsvoll mit dem eigenen Anliegen und den Befindlichkeiten des Gegenübers um.
Im Erwachsenen-Ich holen wir uns beispielsweise eine Erlaubnis, bevor wir jemand mit einem möglicherweise unangenehmen Gesprächsthema konfrontieren: „Mir ist etwas aufgefallen bei dem, was du gerade gesagt hast, und ich wollte dich fragen, ob du jetzt kurz Zeit hast, mit mir darüber zu reflektieren?“
- Das Kind-Ich umfasst unsere freien und spontanen, emotionalen und kreativen Seiten (fK), aber auch kindliche Anpassung (aK) oder Trotz und rebellische Anteile (rK).
Im freien Kind-Ich sind wir verspielt, kreativ und neugierig: „Was ist das für ein Wort… habe ich noch nie gehört… Was ist denn eine Selbstbezeichnung?“ Das angepasste Kind-Ich hingegen versucht, keine Fehler zu machen oder niemanden zu verletzen: „Ich sage mal lieber nichts, bevor ich einen Fehler mache!“ Auch das rebellische Kind-Ich kann auftreten, etwa wenn wir uns überfordert fühlen oder unser Anliegen nicht gesehen wird: „Oh, ihr mit euren Selbstbezeichnungen, man darf ja heutzutage gar nichts mehr sagen, weil alle gleich beleidigt sind! Ich sage jetzt gar nichts mehr!“
Kommen Euch solche Aussagen bekannt vor?
Anwendung in der Beratungspraxis
Gerade in diskriminierungssensiblen Beratungssituationen ist es entscheidend zu verstehen, aus welchem Ich-Zustand wir agieren. Häufig wirken unbewusste Vorurteile oder gesellschaftliche Prägungen (Eltern-Ich) in unsere Kommunikation hinein, was dazu führen kann, dass wir – meist unbeabsichtigt – Stereotype oder Machtasymmetrien reproduzieren.
Auch für den eigenen Empowerment-Prozess – sei es in der Antidiskriminierungsarbeit oder im Umgang mit diskriminierendem Verhalten – bietet die TA mit ihrem Ich-Zustände-Modell hilfreiche Ansätze: Sie hilft, heikle Situationen einzuordnen, zu deeskalieren oder sich – falls nötig – vor einer dynamisch und schwer veränderbaren Situation zu schützen, indem wir auf unsere Bedürfnisse hören, diese ernst nehmen und uns gegebenenfalls abwenden.
Chancen der TA für diskriminierungssensible Beratung
Die Transaktionsanalyse bietet hier wertvolle Ansatzpunkte:
- Bewusstheit: Sie hilft, eigene Denk- und Kommunikationsmuster zu erkennen und zu reflektieren. Das ist zentral, um Vorurteile und Diskriminierungsmechanismen aufzudecken15.
- Spontanität: Durch das bewusste Einnehmen des Erwachsenen-Ich-Zustands können Beraterinnen flexibel und offen auf Klientinnen eingehen, statt automatisch alte Muster zu wiederholen.
- Intimität: Die TA fördert authentische, respektvolle Beziehungen – ein wichtiger Baustein, um Machtasymmetrien abzubauen und echte Begegnung zu ermöglichen.
Gerade in der Antidiskriminierungsarbeit unterstützt das Erwachsenen-Ich dabei, Situationen sachlich zu analysieren, eigene Prägungen kritisch zu hinterfragen und Klient*innen auf Augenhöhe zu begegnen. Das Kind-Ich kann genutzt werden, um Empathie und Kreativität einzubringen, das Eltern-Ich für Fürsorge – aber immer reflektiert und bewusst gesteuert.
Praktische Anwendung: Reflexion und Kommunikation
In der Praxis bedeutet das:
- Eigene Ich-Zustände wahrnehmen: In Beratungssituationen innehalten und sich fragen: Aus welchem Zustand reagiere ich gerade? Ist das hilfreich oder sollte ich bewusst in den Erwachsenen-Ich-Zustand wechseln?
- Muster erkennen und unterbrechen: Wird z. B. ein kritisches Eltern-Ich aktiviert („So macht man das aber nicht!“), kann bewusst eine sachliche, offene Haltung eingenommen werden („Wie erleben Sie die Situation?“).
- Empowerment fördern: Indem Beraterinnen aus dem Erwachsenen-Ich agieren, unterstützen sie Klientinnen darin, eigene Ressourcen zu erkennen und selbstbestimmt zu handeln.
Fazit
Das Ich-Zustände-Modell der Transaktionsanalyse ist ein kraftvolles Werkzeug für diskriminierungssensible Beratung. Es ermöglicht, eigene Prägungen und Kommunikationsmuster zu reflektieren, bewusster zu agieren und Beziehungen auf Augenhöhe zu gestalten – zentrale Kompetenzen für eine diversitätsbewusste und inklusive Beratungspraxis
Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten oder Interesse an meiner Weiterbildung haben, besuchen Sie Website der DHBW CAS Heilbronn oder kontaktieren Sie mich direkt unter: kontakt@empowerment-space.de
Empfehlung:
Weiterbildung
Für Fach- & Führungskräfte aus der Sozialen Arbeit, Verwaltungen, psychologische Berater*innen, (angehende) selbstständige Beratende sowie für Fachkräfte im psychosozialen & pädagogischen Kontext
Ziel dieser Weiterbildung
Ein fundiertes Verständnis für Diskriminierung & Diversität entwickeln und die eigenen Beratungskompetenzen erweitern.
Aufbau : In nur 3 Grundmodule & 4 Vertiefungsmodule zur Qualifizierung
Mehr Informationen: https://www.empowerment-space.de/weiterbildung
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