► Diskriminierung in der Schule

Empowerment Blog

Diskriminierung in der Schule.

Über Bildung, Mehrsprachigkeit & strukturelle Diskriminierung

Inhalt:


0. „Bildungskarriere“ in der Grundschule

1. Empörung & Ohnmacht

2. Irritation & Unverständnis

3. Mehrsprachigkeit als Ressource

4. Deutsche Sprache

5. Überanpassung



„Seine Bildungskarriere ist jetzt schon rum!“. Dieser Satz fiel im Gespräch mit einer Lehrkraft aus einer Grundschule. Ja, Du hast richtig gelesen: Es geht hier um die „Bildungskarriere“ eines Grundschülers in der 2. Klasse, also um die Zukunft eines Kindes im Alter von 7-8 Jahren, dessen schulische Entwicklung gerade erst begonnen hat. 


Ich schreibe dies so deutlich, um es auch selbst fassen zu können. Doch es gelingt mir nur bedingt. 


Was ist passiert?

Die Lehrkraft erklärt, wie belastet sie sei, da zu ihrer Klasse inzwischen zwei neue Kinder gestoßen seien. Diese Kinder „können die Sprache nicht!“, so sagte sie und da die eigentliche Lehrkraft der Vorbereitungsklasse länger ausfalle, würden diese Kinder in die „normalen“ Regelklassen verteilt. 


Die Lehrkraft äußerte sich empört, da sie sehr viel Kraft und Zeit in die „eigene“ Klasse investiert habe und sich jetzt mit viel Unruhe in der Klasse konfrontiert sehe. Die Homogenisierung, die im Schulsystem wichtig sei, sei jetzt dahin! Zudem müsse sie diesen zwei neuen Kindern auch noch deutsch beibringen. „Wann soll ich das überhaupt noch leisten?“, fragte sie sich.


Dieser Fall beschäftigt mich seit mehreren Tagen bzw. sogar Wochen aus mehreren Gründen. 


Grund 1: Empörung und Ohnmacht

Zunächst einmal machte mich meine eigene Empörung ohnmächtig als ich hörte, dass die „Bildungskarriere“ des Jungen bereits in der 2. Klasse zu Ende sein soll. Dies aus dem Munde einer Bezugsperson wie einer Lehrkraft zu hören, zu der man in der Regel in der gesamten Zeit der Grundschule aufschaut, hat mich besonders erschüttert. Ihre Begründung war, dass eins der Kinder im lateinischen Alphabet nicht alphabetisiert worden sei. 


‣‣‣ Ist die Grundschule etwa nicht der Ort, an dem Kinder lesen und schreiben lernen?


Grund 2: Irritation und Unverständnis

Unverständnis kam bei mir hoch als ich hörte, dass die Lehrkraft es nicht einsehe, den zwei „fremden“ Kindern auch noch Deutsch beizubringen, obwohl sie die Fächer Deutsch und Mathe unterrichtet. 


‣‣‣ Wofür ist denn eine Deutsch-Lehrkraft da, wenn nicht um den Kindern Deutsch beizubringen? Kann es denn jemand besser als ein*e Deutsch-Lehrer*in?


Und überhaupt finde ich es ein wenig unlogisch, Kinder in eine separate Klasse (VKL) zusammen mit Kindern zu stecken, die die deutsche Sprache genauso wenig beherrschen, um sie (womöglich) von einer fachfremden Lehrkraft oder Hilfskraft unterrichten zu lassen. Anstatt sie in ein Umfeld zu inkludieren, in dem deutsch gesprochen wird und eine ausgebildete Lehrkraft den Unterricht 

gestaltet. 


‣‣‣ In welchem Umfeld wäre ein schnellerer Spracherwerb möglich?


Grund 3: Mehrsprachigkeit als Ressource

Und überhaupt ist die Behauptung, die ich oft höre „Er*sie kann die Sprachen nicht!“ völlig deplatziert, da diese Kinder mindestens ihre eigene Muttersprache und oft sogar zwei Sprachen beherrschen (z.B. arabisch und kurdisch, mandinga und wolof, türkisch und kurdisch, russisch und ukrainisch, griechisch und albanisch usw.).


Die genannten Sprachen sind zwar nicht hoch in der Hierarchie von westlichen eurozentrischen Sichtweisen angesehen, wo Sprachen wie Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch als trendy gelten und andere stiefmütterlich behandelt oder exotisiert werden. Doch sie sind genauso wertvoll und förderlich für das Erlernen neuer Sprachen. Mehrsprachige Kinder sind oft sprachlich viel weiter und reifer als andere Gleichaltrige, doch unser Fokus bleibt bei dem, was sie nicht können: Deutsch!


‣‣‣ Wann werden wir Pädagog*innen es verstehen, dass Mehrsprachigkeit eine wertvolle Ressource ist und kein Problem, dass es zu lösen gilt?



Grund 4: Das Erlernen der deutschen Sprache

Die Notwendigkeit, die deutsche Sprache zu erlernen, wird mit einer solchen Vehemenz überbetont und teilweise wird das Verlernen der Muttersprache verlangt oder zumindest in Kauf genommen, wenn Sätze wie folgende in Elterngesprächen fallen: „Welche Sprache sprechen Sie Zuhause?! Sie müssen Deutsch mit den Kindern sprechen, sonst lernen die Kinder die Sprache nie richtig!“ 


‣‣‣ Diese Haltung ist neurowissenschaftlich, psychologisch, soziologisch & pädagogisch einfach falsch!


Seit Generationen sehen wir die kognitiven Vorteile von Mehrsprachigkeit. Die Nicht-Deutsch-Muttersprachler*innen haben uns mehr Beweise geliefert, als wir je erfassen können, darüber wie schnell sie lernen, wie schnell sie sich im neuen Umfeld orientieren und wie schnell sie sich anpassen können. 


Grund 5: Überanpassung

Manche Kinder passen sich sogar so sehr an, um ihrem Umfeld (wie beispielsweise solchen Lehrkräften) ihre Fähigkeiten zu beweisen, dass dies zum Teil einer ungesunden Überanpassung gleicht. Spätestens in der Pubertät und im jungen Erwachsenenalter können sich diese Identitätsprobleme bemerkbar machen. 


‣‣‣ Gedanken wie: Wo gehöre ich jetzt hin? Ich bin hier geboren, habe alles geleistet, was es zu leisten gab, spreche akzentfreies Deutsch, habe eine deutsche Staatsangehörigkeit und dennoch werde ich als Türk*in, Araber*in, Perser*in oder „Afrikaner*in“ usw. wahrgenommen. Trotzdem werde ich täglich mit Othering konfrontiert, sodass ich kaum eine Chance habe, Zugehörigkeit zu empfinden. 


In meinen Fortbildungen und Workshops sitzen oft Menschen, die solche Erfahrungen selbst gemacht haben und/oder deren Eltern noch solche Erfahrungen machten. Sie haben die berechtigte Sorge, dass auch ihre Kinder davon betroffen sein werden. Und ich frage mich oft:


‣‣‣ Wie viele Erfolgstories braucht unsere Gesellschaft noch, um Leistungen von sog. Migrant*innen jeglicher Herkunft und Generation anzuerkennen? 


‣‣‣ Wann werden unsere Großeltern, unsere Eltern, wir, unsere Kinder & deren Kinder als das gesehen, was wir sind, nämlich ein Teil des deutschen Erfolgsmodells?


Und auch dieses Kind - mit der scheinbar schon beendeten "Bildungskarriere" - wird sich dem widersetzen, was Menschen in machtvollen Positionen über es denken. Da bin ich mir sicher. Auch dieses Kind wird seinen Weg bahnen, denn es trägt beides in sich: die Erfahrung von Machtlosigkeit und zugleich die Erfahrung von Stärke. Generationen vor ihm haben es vorgemacht, darauf wird es sich berufen können.


Doch wir alle könnten es ihm etwas leichter machen, indem wir mehr daran glauben, dass es möglich ist. Indem wir daran glauben, dass Heterogenität, Vielfalt und Diversität innerhalb der Gesellschaft unser aller Ressourcen sind, von der wir alle profitieren. 


‣‣‣ Es liegt an uns, mutig zu sein und Haltung zu zeigen.


‣‣‣ Lasst uns in jedem Kind ein Kind sehen, dessen Zukunft nicht vorgeschrieben ist, dessen Fähigkeiten es noch zu entdecken gilt und dessen Beitrag für unsere Gesellschaft noch in der Entwicklung ist. 



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